RSNplusEnergiesparmodus oder selbstsicher?

Roglic macht beim Giro den Rocky

Von Tom Mustroph aus Sabbio Chiese

Foto zu dem Text "Roglic macht beim Giro den Rocky"
Primoz Roglic (Jumbo-Visma) | Foto: Cor Vos

22.05.2023  |  (rsn) - Top-Favorit Primoz Roglic ist beim Giro d'Italia in Lauerstellung. Damit verändert der Slowene seine Herangehensweise an Grand Tours massiv. Schockierte er früher gern seine Konkurrenz mit überwältigender Frühform, so ist er bei diesem Giro eher im Tarnkappenmodus unterwegs. Ursache dafür ist das Fehlen eines Herausforderers, der ihm Angst macht. Und auch die eigenen Sturzverletzungen lassen ihn zurückhaltender werden. Inspiration sucht er am Beispiel von Sylvester Stallones Film-alter-ego Rocky Balboa. ___STEADY_PAYWALL___

Man erkennt Primoz Roglic und auch seinen gelbschwarzen Jumbo-Visma-Begleitzug kaum wieder. Dominierte der Slowene üblicherweise die erste Grand-Tour-Woche mit Siegen bei den frühen Zeitfahren – und ließ dann oft zum Ende der Rundfahrt etwas nach – so macht er bei diesem Giro bislang den Eindruck, mit angezogener Handbremse unterwegs zu sein. Gut, als Remco Evenepoel noch da war, nahm er ab und an einmal die Herausforderung an und duellierte sich mit dem Belgier um Bonussekunden oder auch nur um das Gefühl, der schnellste Bergsprinter im Peloton zu sein. Die einzige echte Attacke, die Roglic bisher lancierte – auf der 8. Etappe – war auch gegen Evenepoel gerichtet.

Als Primoz Roglic auf der 8. Etappe nach Fossombrone in die Offensive ging, konnte er Zeit auf die Konkurrenz gutmachen. | Foto: Cor Vos

Seitdem der Weltmeister weg ist, sind Roglic und sein kompletter Jumbo-Zug einem ungewöhnlichem Dauerphlegma verfallen. Das hat natürlich Gründe. Roglic‘ Wunden vom Sturz auf der 11. Etappe mussten sich erst schließen. Der Slowene scheint auch stärker angeschlagen als ursprünglich vermutet. Er verglich sich jedenfalls mit Rocky Balboa, dem Filmboxer: “Man muss überleben, muss durchkommen. Wie Rocky schon sagte: ‚Es kommt nicht darauf an, wieviel man schlagen kann, sondern darauf, wie oft man getroffen wird und trotzdem weiter machen kann.“ Angeschlagen durchkommen lautet die neue Devise.

Roglic wartet “auf den rechten Moment“

Zudem verhinderten Gegenwind und eher mäßig steiles Profil ebenfalls Attacken. Auf jeden Fall aber ist die Hurra-Mentalität, mit der Roglic seine drei Vuelta-Siege einfuhr und die auch die Basis des Tour de France-Triumphs von Jonas Vingegaard war, vollkommen verflogen. “Wir mussten bislang nicht viel Energie aufwenden“, konstatierte Jumbos sportlicher Leiter Marc Reef sichtlich zufrieden gegenüber Radsport-News. “Einmal, auf der 8. Etappe, haben wir die Initiative übernommen. Und Primoz hat da gezeigt, wie stark er ist“, bilanzierte der Niederländer weiter. “Jetzt warten wir einfach auf den rechten Moment“, gab er noch zu verstehen.

Sturzbedingt angeschlagen, und wie der Rest des Feldes durch tagelangen Regen gezeichnet: Auch Primoz Roglic hat mit den Bedingungen in Italien zu kämpfen. | Foto: Cor Vos

Dieser rechte Moment aber kam und kam nicht, jedenfalls nicht in Jumbo-Visma-Optik. Die einzige nennenswerte Aktion in Sachen Klassement wurde im Finale der 15. Etappe vom Portugiesen Joao Almeida initiiert. Roglic war da, problemlos und hellwach, ebenso Hauptrivale Geraint Thomas. Lennard Kämna hingegen verpasste den Anschluss. Der Bremer jagte aufopferungsvoll hinterher, verkürzte den Rückstand auch auf zwei winzige Sekunden. Er machte dabei aber das, was gegenwärtig größtes Tabu bei Jumbo ist: Kräfte verschleißen.

Was Ursache dieser geänderten Strategie beim niederländischen Rennstall ist, ist ein ziemlich gut gehütetes Geheimnis. Hat Roglic derzeit tatsächlich nicht die Kraft für mehr oder wird alles für ein Spektakel in der dritten Woche aufgehoben?

Energiesparmodus im gesamten Peloton

Die Fachwelt jedenfalls wundert sich. “Wann zeigt sich endlich Primoz Roglic?“, fragte ein wenig ungehalten ein Reporter der italienischen Rai. Und selbst Konkurrent Geraint Thomas rätselt. “Ich bin auch ein wenig enttäuscht“, sagte er am Ruhetag. “Ich wollte mich gern gegen die anderen Jungs testen. Aber ich kann für die Strategie der anderen Teams nicht sprechen“, meinte er. Dass er sich selbst vom Angreifen ebenfalls vornehm zurückhielt, begründete er – nicht ganz zu Unrecht – so: “Ich liege im Klassement vor den anderen. Sie müssen Zeit gut machen auf mich.“

Auch Geraint Thomas (Ineos Grandiers) wundert sich über die Passivität von Primoz Roglic. | Foto: Cor Vos

Allerdings hat er nur zwei Sekunden Vorsprung auf Roglic. Es wäre gewagt, damit ins schwere Bergzeitfahren am Samstag zu gehen. Etwas Luft sollte sich auch der Waliser verschaffen wollen. Aber er ist offensichtlich im selben Energiesparmodus wie sein Konkurrent unterwegs. “Das Peloton insgesamt ist stärker geworden. Es ist viel schwerer, einen solchen Unterschied zu machen wie Froome bei seiner langen Attacke beim Giro“, spielte er auf dessen Monsterritt über den Colle delle Finestre im Jahr 2018 an. Er gab auch zu bedenken: “Radprofis wollen zwar Rennen fahren. Sie wollen sie aber auch Rennen gewinnen und nicht unnütz Energie verpulvern, erst recht nicht für pure Unterhaltung, nur damit sie am Ende keine Kraft mehr haben und jemand anderes profitiert“, sagte Thomas.

Alle Chips aufs abschließende Zeitfahren?

Es herrscht also pure Vernunft vor, auch bei Roglic. Er weiß schließlich auch, dass er nicht mehr viele Chancen hat, die Italien-Rundfahrt zu gewinnen. Die Tour will er schließlich auch noch mal fahren. Ein Double aus Giro und Tour ist nicht erfolgversprechend. Und dieser Giro mit seinen drei Zeitfahren ist dem Olympiasieger in dieser Disziplin eben auch förmlich auf den Leib geschrieben. Das Rennen mag er ohnehin. “Der Giro hat einen speziellen Platz in meinem Herzen. Hier habe ich auch meinen ersten größeren Sieg errungen“, sagte er. Es war, na klar, ein Zeitfahren, 2016 im Weinanbaugebiet des Chianti.

Mit drei Zeitfahren kommt der diesjährige Giro dem Olympiasieger in dieser Disziplin entgegen. | Foto: Cor Vos

Setzt er auch in diesem Jahr alles aufs Zeitfahren? Es sieht ganz danach aus. “Es zählt nur, wer das Rosa Trikot in Rom trägt. Dort möchte ich es in Besitz haben“, sagte er. Das ist einen Tag nach dem Bergzeitfahren zum Monte Lussari. Wenn Roglic und seine Taktikplaner in den gelbschwarzen Begleitwagen nicht vorher den berühmten Moment zum Attackieren finden, wird wohl alles auf den Kampf gegen die Uhr hinauslaufen. Man wünscht ihnen allein des Spannungsmoments wegen ein früheres erfolgreiches Finden. Und auch Rocky hat ja nicht nur eingesteckt, sondern ausgeteilt. Man kann nur hoffen, dass Roglic am Ruhetag noch mal in die alten Stallone-Filme reinschauen konnte.

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